Studienpunkte sammeln in der Schule

OWL-Pilotprojekt: Fachhochschule erkennt Klausuren von Berufskollegschülern als Studienleistung an

VON BERNHARD HÄNEL

Bielefeld/Detmold. Ab dem kommenden Wintersemester können Schülerinnen und Schüler der Berufskollegs in Ostwestfalen-Lippe schulische Leistungen auf ihr Studium angerechnet bekommen. Der Modellversuch beginnt zunächst für die Absolventen der Wirtschaftsfachschule, eine der vielen Abteilungen der kaufmännischen Berufskollegs.

Den Anfang machen die staatlich geprüften Betriebswirte, deren Ausbildung unter anderem an der Bielefelder Rudolf-Rempel-Schule angeboten wird. „Bis zu 2,2 Semester können den Absolventen auf das Bachelor-Studium angerechnet werden“, sagt Jochen Bödeker, Dezernent für die Berufskollegs bei der Bezirksregierung in Detmold. Durch die Anerkennung von Klausuren und Klassenarbeiten verkürze sich die Studienzeit um bis zu ein Drittel. „Damit ist es nicht mehr nötig, bereits in der Schule nachgewiesene Leistungen an der Hochschule ein zweites Mal zu erbringen“, sagt Bödeker. Das sei reale Durchlässigkeit.

Seit der Bologna-Studienreform müssen Studierende pro Semester etwa 30 sogenannte Credit Points erwerben. Die gesammelten Punkte für erbrachte Leistungen gehen ein in die Abschlussnote für den Bachelor, den ersten akademischen Grad, den die Hochschulen vergeben.

Gestartet wird das Pilotprojekt an der Fachhochschule Bielefeld. Vor dem Vertragsschluss über die pauschale Anerkennung der schulischen Leistungen hatten die Professoren eingehend die Schul-Curricula sowie Klausuren und Abschlussarbeiten der Kollegschüler geprüft. „Sie waren zufrieden“, sagt Bödeker mit unüberhörbarem Stolz.

Eine Übertragung auf Bildungsgänge auch aus dem allgemeinbildenden sowie dem gewerblichen Bereich ist geplant, doch sei man dort nicht so weit wie bei den Kaufleuten. Ein Problem sei, dass die Identität der Bildungsgänge nicht so ausgeprägt sei wie bei den Kaufleuten. Immerhin habe man aber schon für rund 30 Bildungsgänge eine Anrechenbarkeit von einem halben bis zu einem ganzen Semester vereinbart, so Bödeker.

Die Bezirksregierung bemüht sich um weitere akademische Kooperationspartner, denn die Anerkennung kann nur jeweils durch einzelne Hochschulen erfolgen. Derzeit ist man in intensiven Gesprächen mit der Hochschule OWL in Lippe über die pauschale Anerkennung erbrachter Schulleistungen. Allein das Testat des Schulleiters reiche dann aus.

Derzeit verhandelt Bödeker mit den Industrie- und Handelskammern in Bielefeld und Detmold sowie der OWL-Handwerkskammer über ein weiteres Modell. Auch dabei geht es um die Anerkennung erbrachter Vorleistungen. Versucht werden soll auch bei Studienabbrechern, Leistungen anzuerkennen für Bildungsgänge der Berufskollegs oder auch im Rahmen des dualen Ausbildungssystems. „Es kann doch nicht sein, dass junge Menschen an einer Hochschule studieren und beim Abbruch des Studiums angeblich keinerlei Kompetenzzuwachs gehabt haben sollen.“ Durchlässigkeit im Bildungssystems helfe sowohl den jungen Menschen als auch der Wirtschaft.

In OWL werden damit erstmals zentrale Forderungen der Kultusministerkonferenz umgesetzt. Die hatte bereits 2002 beschlossen, außerhalb der Hochschulen erworbene Kenntnisse pauschal anzuerkennen.

 

Kommentar:

Studieren am Berufskolleg

Schulform punktet

BERNHARD HÄNEL

Technik, Wirtschaft und Verwaltung, Ernährung und Hauswirtschaft, Soziales und Gesundheit und Gestaltung. Dies ist nur eine kleine Auswahl der Fächer, die das Berufskolleg in NRW anbietet. Zum einen für Schüler im dualen Ausbildungssystem, zum anderen aber auch für junge Menschen, die am Berufskolleg das Abitur erreichen wollen.

Berufskollegs sind pädagogische Großbetriebe, deren Angebot so vielseitig wie unüberschaubar ist. Ihre Abiturklassen geraten leicht aus dem Blick angesichts der Bildungsgänge zur Berufsorientierung und zur Berufsvorbereitung. Deren häufig eher negative Schlagzeilen verdecken die parallele Erfolgsgeschichte dieser Schulform.

Jüngstes Glanzlicht ist das Angebot, bereits in der Schule wesentliche Bestandteile eines Studiums absolvieren zu können. Ein weiteres kluges Pilotprojekt aus der Bildungsregion OWL, das Schule machen könnte. Vorausgesetzt, es hält einer wissenschaftlichen Überprüfung stand. Genauso pfiffig ist die Idee, Studienabbrechern bereits erbrachte Leistungsnachweise auf eine duale Ausbildung anzurechnen. Vorausgesetzt, die Kammern spielen mit.

 

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