Aufruf an das Volk

Die 1848er-Revolution in Bielefeld – Rudolf Rempel spielte eine führende Rolle

Treffpunkt für Debatten : Im Haus der Gesellschaftsclubs „Eintracht“ (mitgegründet von Rudolf Rempel) und „Ressource” waren bereits vor 1848 Konflikte zwischen Bürgern und Offizieren aufgetreten. Das Foto des Gebäudes am Klosterplatz stammt aus der Zeitum 1880.

Demokrat: Der Bielefelder Unternehmer Rudolf Rempel (1815–1868) galt als Platzhirsch.

Konstitutioneller: Der Lehrer Ludwig Volrath Jüngst (1804–1880)war Gegenspieler.

Bielefeld im 19. Jahrhundert: Die Stadt war etwas revolutionär, das Umland wählte konservativ und stützte damit die Reaktion. Kolorierter Stich, 1801/69, aus dem Bestand des Stadtarchivs.

Bielefeld. „Wir wollen Alles für das Volk und Alles durch das Volk! Es lebe die Freiheit!“, schloss ein Aufruf, den eine „Versammlung von Volksfreunden“ vor 165 Jahren am 2. April 1848 in Hamm veröffentlichte. Zum Leitungs-Komitee zählte der Bielefelder Unternehmer Rudolf Rempel, der danach zum auffälligsten Akteur der 48er-Revolution in Bielefeld avancierte, dessen Programm und Ambitionen aber ebenso scheiterten wie die Revolution. Darüber schreibt Stadtarchivleiter Dr. Jochen Rath im neuen „Historischen Rückklick“. Hier Auszüge:

Bielefeld zählte um 1848 etwa 10.000 Einwohner, von denen die weitaus meisten keinerlei aktiveTeilhabe am politischen Geschehen und an der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt hatten. In Bielefeld gaben ungebrochen die alten Kaufmannsfamilien wie Delius, Tiemann, Kisker, Bertelsmann, Velhagen, Consbruch, Krönig, von Laer oder Johanning den Ton an („Leinenpatriziat“). Der „Mittelschicht“ aus Handwerkern und Händlern, Gastwirten, Geistlichen, Lehrern, Beamten, Webern und Landwirten gelang die stärkste soziale Mobilität, hierhin erfolgte beruflicher und gesellschaftlicher Aufstieg.

Der als „Demokrat“ beargwöhnte Kaufmann Rudolf Rempel (1815–1868) und der Metzgermeister Johann Friedrich Klasing wurden als erste Vertreter aus dem Volk in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Rempel war es dann auch, der den leinenpatrizischen Alleinvertretungsanspruch in Frage stellte, als er 1847 mit anderen einen eigenen Gesellschaftsclub, die „Eintracht“ gründete.

Bielefeld geriet bald in den Ruf, ein „Demokratennest“ zu sein. Das große revolutionäre Ereignis von 1848 blieb in Bielefeld zunächst aber vor allem auf intellektuelle Kreise und wenige Vertreter des Mittelstandes beschränkt.

Die mit einigen Tagen Verzögerung eingetroffenen Nachrichten aus dem revolutionären Berlin wurden in Bielefeld geradezu euphorisch aufgenommen und mit Feuerwerk, Hissen von Schwarz-Rot-Gold, Böllerschüssen, Kokardentragen gefeiert, eine nachhaltige inhaltliche Vertiefung fand zunächst kaum statt. Einig war man sich jedoch darin, dass vor allem Ruhe zu bewahren war.

Das erschien umso nötiger, nachdem im direkten Umland ländliche Proteste aufflammten. Im Amt Heepen, in Altenhagen, Ubbedissen und Hillegossen, in Vilsendorf und Dornberg kam es zu Tumulten, als sich die minderprivilegierten Heuerlinge gegen die landbesitzenden Bauern vereinigten, denen sie abgabepflichtig waren. Freilich fehlte diesen Unruhen der revolutionäre Charakter mit ideologischer Unterfütterung und genereller Zielsetzung.

Das bürgerliche Engagement verlagerte sich weiter, nachdem die Zensur aufgehoben worden und Versammlungsfreiheit gegeben war. Dieses lieferte den Nährboden für eine neue politische Kultur, indem sich politische Parteien, und zwar Demokraten, Konstitutionelle und – zahlenmäßig gering – Konservative bildeten. Die Demokraten fanden bis Mai 1848 ihr Organ im „Westphälischen Dampfboot“.

Platzhirsch war unzweifelhaft der 33-jährige Rudolf Rempel – ein glänzender Organisator, begeisternder Redner und wortgewaltiger Schreiber, ein cleverer Taktiker im Umgang mit den Behörden und sozial engagierter Leinenkaufmann, eine charismatische Persönlichkeit voller Talente und dem Mut, sich auch bis zur Selbstaufgabe zu belasten. Am 2. April 1848 zählte er bei der „Versammlung von Volksfreunden“ zum provisorischen Leitungs-Komitee, die den Aufruf „An das Volk” unterzeichnete (s. Kasten).

Bielefeld wurde zur Kreishauptstadt der demokratischen VereineWestfalens. Die zahlenmäßig stärkere politische Gruppe in Bielefeld waren die „Konstitutionellen“ unter dem Vorsitz des Lehrers (und späteren Ehrenbürgers) Ludwig Volrath Jüngst (1804–1880).

Demokraten und Konstitutionelle einte die – letztlich erfüllte – Forderung nach öffentlichen Stadtverordnetenversammlungen, um Transparenz herzustellen. Während beide um die Mandate zum Frankfurter Parlament und zur Preußischen Nationalversammlung konkurrierten, übersahen sie, dass die Entscheidung im ländlichen Umland fiel.

Und als Rempel und Jüngst um die Ausrichtung der Bürgerwehr stritten, schuf die Monarchie Fakten: Das neue Bürgerwehrgesetz vom 17. Oktober 1848 machte die Bürgerwehr zum Instrument der Behörden, des Staates. Als sie im Folgejahr kurzerhand verboten wurde, hatte der Staat sein Machtmonopol wieder zurückerobert. Die Reaktion hatte sich durchgesetzt, auch in Bielefeld. Die Revolution wurde „abgesagt“.

So verlief die 48er Revolution in Bielefeld trotz gewisser ungewöhnlicher Ausschläge vergleichsweise unaufgeregt.

 

INFO

Die Forderungen

  • Der Aufruf plädierte kompromisslos für das Prinzip der Volkssouveränität und für einen radikalen Umbau der Gesellschaftsordnung, von Verwaltung und Justiz.
  • Gefordert wurden u. a. die Einführung des allgemeinen Wahlrechts (aktiv und passiv), eine Volksvertretung als gesetzgebendes Parlament, freies Versammlungsrecht, Rede- und Pressefreiheit sowie die Abschaffung des grundherrlichen Abgabenwesens.

 

www.stadtarchiv-bielefeld.de

 

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